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Die Künstlerin Barbara Kinzelbach

von Dr. Katrin Arrieta, Rostock

...Immer wieder steht Fließendes im Mittelpunkt ihrer Aufmerksam-keit, macht sie flüssige Stoffe zu Medien spiritueller Information. Zwei vom Wasser des Rheins durchspülte Stapel Zeitungspapier, die sie gleich einem Schatz aus dem Fluss geborgen und zum Trocknen gebracht hat, gehören zu ihren merkwürdigsten plastischen Objekten - hier hat das Wasser verbindend und konservierend gewirkt, eine Form ist entstanden, welche die erst der Natur entrissene Materie dieser wieder zuzuführen scheint, etwas wie ein unterseeischer Organismus von seltsam archaischem Aussehen. Farbe fließen und verfließen zu lassen, ist Barbara Kinzelbach wichtig. Sehr gezielt operiert sie mit den damit verbundenen Vorgängen spontaner Formbildung, denn sie erhalten nur so viel Raum, wie den gestalterischen Absichten der Künstlerin zuträglich bleibt, dabei ist ihr das Flüssige stets Metapher für die Säfte des Lebens. Solche Spuren der Spontaneität haben in ihren Arbeiten meistens noch einen weiteren inhaltlichen Bezug, so in den "Vogelschau"-Blättern, die 2000 zu einem Gedicht von Johannes Bobrowski entstanden. Die mit Tusche gemalten Landschaften ließ sie unter fließendem Wasser "ausbluten" - das Ergebnis ist ein dichtes, aber filigranes und disharmonisches Flächengefüge, wie es der Stimmung des Gedichtes entspricht.

Eine andere Rolle spielt das Fließen der Farbe in ihren Bildnissen, von denen die ersten noch in einem recht akademischen Duktus gearbeitet sind. Doch schon hier kommt es der Malerin auf das Atmosphärische an, das die dargestellten Personen aussenden - mehr und mehr konzentriert sie sich dann auf die Köpfe ihrer Gegenüber, wobei sie deren Physiognomien in wenigen Pinselzügen bündig zur Kenntnis gibt, während die transparente Tonigkeit der ineinander laufenden Farben wie auch der eindringliche und gestisch jeweils verschiedene Vortrag auf die psychische Energie der Dargestellten zielen, ihr Strahlen in den Raum, das mit der Abnahme körperlicher Festigkeit scheinbar an Intensität gewinnt. Um solche Wirkungen zu erreichen, verlässt sich Barbara Kinzelbach nicht auf das übliche Angebot industriell hergestellter Farben, sondern rührt ausgesuchte Pigmente, die ihren Wahrnehmungen in der Natur näher kommen, zu einer speziellen Temperamischung an. Eine altmeisterliche Art der Farbzubereitung, die dazu beiträgt, dass ihre Blätter mitunter wie Fragmente historischer Malereien wirken, als seien sie aus einem anderen Kontext freigelegt worden. Diese Anmutung legt nahe, dass es sich bei diesen Bildnissen nicht nur um aktuelle Bestandsaufnahmen handelt, sondern ebenso um Zeugnisse einer versteckten, sehr persönlichen Erinnerungsarbeit.

Das scheint ähnlich auf die Landschaften der Künstlerin zuzutreffen, die sich nach einigen abbildhaften und ganz subtilen Anfängen schnell ins Abstrakte wandeln, wobei sie sichtbar an das Vorbild Mark Tobeys anknüpft. Zu den frühen Studien vor der Natur gehört auch eine kleine Serie figürlicher Arbeiten mit einer Gruppe kartenspielender Männer im Fokus. Die malerisch bündig erfassten Szenen wirken lichterfüllt und räumlich nahe, so dass man sich mit ins Geschehen hineingezogen wähnt, gleichzeitig scheint die Dramatik der Ereignisse unter den hellen Farben gedämpft und schon eingefroren in einen stillen Aggregatzustand der Erinnerung. Viele Malereien Barbara Kinzelbachs sind farblich in Weiß gebrochen, andere tendieren ins Schwarze - es sind diese beiden Extreme der vollen Anwesenheit und des gänzlichen Fehlens von Licht, die ihr malerisches Experimentieren bestimmen, weniger die Symbolik und der emotionale Gehalt einzelner Farben. Ihr Verhältnis zur Landschaft ist kontemplativ, sie sucht darin Anzeichen eines übergeordneten "Weltbildes", forscht nach der Matrix, in der ein solches erkennbar werden könnte. Rasterstrukturen beschäftigen sie besonders, mehr und mehr behandelt sie diese losgelöst von einer noch erkennbaren Gegenständlichkeit. In einigen neueren Blättern setzt sie waagerechte über senkrechte Folgen aus Streifen und elliptischen Formen - deren unterschiedliche Schärfe wie Pigmentdichte erzeugen den Eindruck schwebender Räumlichkeit, auch an die zitternde Oberfläche eines windbewegten Gewässers wird erinnert. Dass hier Seelisches gemeint ist, scheint deutlich: Es geht um Beruhigung, Reduktion und Ordnung, um einen gegen die im Wasser anwesende Fülle des Formlosen gleichsam als Rettungsanker gesetzten Anhaltspunkt sinnlicher Kristallisation.

In ihren teilweise früher entstandenen Collagen entwickelt Barbara Kinzelbach so ein einfachstes kristallines Muster ins Tektonische und erfüllt es mit konkreter Stofflichkeit wie auch mit zeichenhaften Anspielungen auf natürlich gewachsenes Leben. Einige großformatige Arbeiten tragen Titel wie "Landschaft", "Wald" oder "Garten". Sie setzen sich zusammen aus gleichmäßigen Teilstücken großflächiger Malereien, in denen vegetabile Formen wie Strukturen ausschnitthaft und in stetiger Wiederholung vorkommen, erdige Farben sind transparent aufgetragen und wieder entsteht ein Gefühl wärmender Helle. Wenn die Künstlerin wie in jüngster Zeit Aluminiumfolie als Bildträger verwendet, kehrt sich dieser Eindruck in sein Gegenteil um, solche Blätter wirken extrem kalt, ja frostig.

Eine besondere Werkgruppe bilden die kleinformatigen Materialcollagen, in denen Barbara Kinzelbach neben Papieren aus einer alten Buchbinderwerkstatt, Zeitungsausschnitten und Klebeband auch Abfälle aus eigener Bildproduktion verwendet. Außer der Rasterstruktur, die sie hier in ganzer Breite durchspielt, stehen in solchen Arbeiten die Gebrauchsspuren der verschiedenen Materialien im Vordergrund. Die Art, wie diese miteinander kommunizieren, unterstützt die Künstlerin durch zusätzliche farbliche Eingriffe. Vornehmlich Rot bringt hier ein Moment der Aufregung wie es sonst eher ungewöhnlich für ihr bildnerisches Vorgehen ist - auch die Materialcollagen erweisen sich somit als Variationen eines spirituell verankerten Landschaftsbildes.

 

 

Reflektionen zu den Portraits von Barbara Kinzelbach

von Prof. Thomas Duttenhoefer Darmstadt

In den unterschiedlichen bildnerischen Medien bleibt das Portrait von großer Anziehungskraft, doch was ist das immer wieder Faszinierende? Ist es das Formale, die Erscheinung von Form und Farbe, die Architektur von Kopf und Gesicht, die Mimik, die Expression von Auge und Mund? Sind es die Aspekte des Psychologischen? Und was unterscheidet den Kopf vom Portrait? Nun, gerade die Darstellung des einmaligen, individuellen und unverwechselbaren Gegenübers, interpretiert von einer schöpferischen Persönlichkeit, lassen uns vom Portrait sprechen.

Jeder von uns trägt schon von Amts wegen sein Konterfei in Pass und mancherlei Ausweisen mit sich zur schnellen Identifizierung. Wenn auch diese durch biometrische Daten erweitert wird.

Was die Bilder und Zeichnungen von Barbara Kinzelbach betrifft, so sind die bildnerischen Ergebnisse das Resultat präziser Beobachtung und gelungener Umsetzung. Meisterlich schildert sie die einmalige Erscheinung ihrer Modelle. Nicht nur, dass diese wirklich erfasst sind und uns ihre Interpretation von Ähnlichkeit vermitteln, so sind sie auch stimmig im Hinblick auf kompositorische und malerische Merkmale.

Denn die malerische und zeichnerische Bewältigung, wie die spannungsvolle Gestaltung trägt das Bild des Modells über dessen Ende hinaus weiter. Dass auch das Portrait dem wesentlich Wirkenden von Farbe, Form, Linie und Fläche wie jede gelungene Komposition zu genügen hat, zeigt die Malerin in jeder Arbeit in überzeugender Art und Weise.

Das Besondere ihrer malerischen Formulierungen ist neben der Ähnlichkeit die durch die Anwendung ihrer Technik erzeugte Transparenz. Durch Eitempera gebundene Pigmente wirken nicht deckend sondern lasierend, die farbigen Linien und weiter gehenden Verdichtungen schaffen neben der Spannung zur transparenten Fläche das Gerüst des physiognomischen Aufbaus.

Intuitiv setzt Barbara Kinzelbach durch Nuancierung Ausdruckswerte von Augen und Mund in die Großform des Kopfes. Präzise formuliert sie die Position von Ohren und Nase. Die gebrochenen Farbtöne schaffen Analogien zur menschlichen Haut. Und doch sind die malerischen Resultate niemals Kopie, sondern Interpretation.

Fast seherisch schafft sie im Portrait „Michael S., 1994" durch Verschattung der Augenpartien, durch den gesamten malerischen Vortrag überhaupt, das Tragische und Brüchige der Existenz des Dargestellten zum Ausdruck zu bringen. Sicherlich eine ihrer stärksten Arbeiten.

Das Portraitieren selbst geschieht im spontanen und treffsicheren Einsatz der Mittel in wenigen Sitzungen. Bar jeder vordergründigen Buntheit, bar jeglicher Schmeichelei lotet Barbara Kinzelbach Tiefe und Ausdruck ihrer Gegenüber aus. Sicher in zupackender Expression schafft sie ein anrührendes Panorama der Zeitgenossen in ihrer Ver­letztheit und Verletzlichkeit.

Mitunter melancholisch oder gar geformt durch die Trauer über die verrinnende Zeit ihres Daseins blicken uns die Gesichter an, in sich hinein oder durch uns hindurch.

Vielfach in ihrer Frontalität, vergleichbar mit den Wachstafeln der Mumienportaits von Fayum, die uns eben so fragend wie abgeklärt anblicken, geben die Portraits Zeugnis über das Leben, der Ahnung vom Ende und der Frage nach dem, was bleibt.

Sich selbst schont Barbara Kinzelbach keineswegs. Dieselbe Befragung durch Farbe und Form, die Schilderung von Ausdruck und Tiefe gilt ebenso den Selbstportraits. Aber nicht das brutale Offenlegen, das mitunter die Gratwanderung zwischen äußerster Präzision und bester Karikatur zeigt, sondern immer ist die Empathie für das Gegenüber in den Bildern spürbar. Freilich, wie gesagt, wird das Portrait kein Abmalen sondern die Summe vieler intuitiv erfasster Vibrationen des Modells.

Immer ist das Portrait Ergebnis des Wechselspiels von Sender und Empfänger. Was macht die Wirkung des Gegenübers aus, was ist letztlich das Ergebnis und wie ist der Weg dahin? Diese Aufgabenstellung bleibt immer aktuell, der Malakt, die Realisation ist die Antwort.

Natürlich ist die Kunst des Portraitierens nur bis zu einem gewissen Grad erlernbar, wenn überhaupt. Und Voraussetzung ist immer das Faszinosum des Gegenübers. Oft ist es die Präsenz des Antlitzes im Raum, die farbigen Nuancen der Lichtreflexe auf der Haut, die Farbe von Haut und Haar, die Form von Nase und Kinn, die Rot­tönung der Ohren im Gegenlicht. Anlässe genug zur Realisierung. In großzügiger Verknappung der Details und Konturen erreicht Barbara Kinzelbach im Malakt tiefen Ausdruck.

Was für die Temperabilder gilt, ist für die Zeichnung ebenso bedeutsam. In scharfem Schwarz-Weiß-Kontrast auf hellem Papier, in den fließenden Hell-Dunkel-Gegensätzen der Tuschezeichnungen erscheinen die Gesichter als Träger von starkem Ausdruck. Doch nicht die Skizze als Manier, sondern die bildhafte Komposition ist das Ergebnis. Dazu gehört die Anordnung des Kopfes auf der Fläche, zum Beispiel in „Selbst, 2005" wird eine enorme Spannung durch die offene weiße Fläche erzielt. Dieses Dreieck steigert Ausdruck und Form ungemein.

Es scheint, als ob in den Portraits der gestische, spontane Malakt durch die Notwendigkeit der Form gebändigt wird. Aber immer bleibt die gewissermaßen formende Pinselspur sichtbar. Barbara Kinzelbach spürt instinktiv, wann der Malakt zu Ende kommen muss, um Lebendigkeit, Vibration und Gesamtwirkung zu einem Ganzen zu verdichten. Nirgends entsteht die Gefahr, die Fläche totzumalen.

Mit Souveränität und spürbarer Lust zeigt sie uns ein beeindruckendes Panorama der Zeitgenossen, allerdings abseits aller Moden. Ihr genügen Pinsel und Pigmente auf der Fläche um ihre Faszination am Gegenüber zum Bild werden zu lassen. Stets hat sie allerlei Verlockungen widerstanden, die zur Manier erstarrter Gestaltung führen.

Mag ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Zeichnerin die Beobachtung geschult haben, ihren „Subtilen Jagden" gilt die Einheit von sichtbarem Gestus und Form.

Scheinen die Gesichter mitunter wie gehäutet aus dem Malgrund sich herauszuschälen, frei auf die Fläche gesetzt, mit Linien ausbalanciert zu sein, immer scheint die portraitierte Person durch.

In ihren Existenzportraits setzt die Künstlerin ihre ebenso sinnliche wie analysierende Interpretation des Menschen in unserer Gegenwart.

Hier findet sich das Ich im Du (Martin Buber).


aus: Barbara Kinzelbach - Papierarbeiten und Malerei
ISBN 978-3-00020464-7